GRAŻYNA KANIA

 
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ERDBEERSONNTAG/BROMBERG                        zurück




NACHTKRITIK, 04.11.12

Beziehungsstatus: Kompliziert.

Andreas Schnell

(...) Es ist kompliziert. Zwischen Deutschland und Polen, nach all dem Leid: Krieg, Zerstörung, Konzentrationslager. Ein Theaterstück, das dieses Verhältnis untersucht, kann da kaum einfach sein. Sicher ist es gut, beide Seiten zu hören. "Bromberg / Bydgoszcz" leistet das als gemeinsame Produktion der Landesbühne Nord und des Teatr Polski Bydgoszcz. (...)

Wie gesagt, es ist kompliziert. Und deshalb verblüfft durchaus, dass sich in der Regie von Grazyna Kania beinahe leichthändig zusammenfügt, was da so schwer (Geschichte) und schwierig (Konstruktion) daherkommt. Das Bühnenbild ist ganz schlicht: Im Hintergrund die gestrichelte Silhouette einer Stadt, davor eine flache Treppe aus hellem Holz auf der obersten Stufe steht eine Statue. Das gibt viel Raum für die Schauspieler und die Souffleuse (die auch die Übersetzerin des Stücks ist), die mit dem Text mal hier, mal dort sitzt, gelegentlich von ihrem Platz verscheucht wird. Und die Spieler nutzen diesen Raum für eine durchweg überzeugende Leistung. Julia Blechlinger vollzieht subtil den Wandel ihrer Figur (oder eben das Spiel mit zwei Charakteren), Roland Nowak macht ohne viel Pathos die Gebrochenheit seiner Figur Kazimierz deutlich, Piotr Stramowski gibt einen gewitzten und vitalen Mieszko, Kathrin Ost balanciert als Dora sehr schön zwischen ihrer offiziellen Übersetzerrolle und ihren privaten Überzeugungen, ihren Moralvorstellungen und ihrer Sehnsucht nach Vergebung für die deutsche Schuld. (...)

Seinen Platz zu finden, auch als Position zur Geschichte, das ist natürlich hier zentrales Thema, exemplarisch vorgeführt an zwei Generationen, die eine, die sich mit Traumata herumschlägt, die andere, die eher auf einer theoretischen Ebene die Geschichte mit sich herumschleppt und oft gar nicht recht weiß, was sie eigentlich damit zu tun hat. Mieszko, der den Großvater kaum versteht, Dora, die schier verrückt wird an den großen Schuldfragen: Deutscher Überfall auf Polen versus "Blutsonntag".

Die Konferenz, der amtliche Versuch der Versöhnung, scheint da eher kein geeigneter Weg zu sein, die Annäherung auf ganz individueller Ebene bahnt sich zumindest bei den jungen Menschen erfolgreicher an. Nur mit Kazimierz und Elsa / Anna ist es auch am Ende noch – kompliziert. Aber die komplizierten Dinge sind ja oft die interessanteren. Wie dieser Abend beweist.


ganze Kritik finden Sie unter: www.nachtkritik.de


DRADIO, 04.11.12

Reden über den Massaker in Bromberg.

Hartmut Krug

Aus den zwei Texten montierte die in Polen geborene, in Berlin lebende Regisseurin Grazyna Kania ihre Theaterfassung. Gespielt wird sie gemeinsam von deutschen und polnischen Schauspielern - mit Übertiteln - sowohl in Wilhelmshaven wie in Bydgoszcz, wo die Uraufführung Mitte Oktober bei einem Premierenfestival stattfand. (...) 

Die Aufführung beginnt mit Kriegs-Filmsequenzen und einer Rede Hitlers Ende September in Danzig. Dann sitzen die vier Schauspieler mit ihrer Souffleuse auf den breiten Stufen der leeren Bühne und suchen die Erinnerungen ihrer Figuren zu sortieren. Wir erleben kein Aktions-, sondern ein intensives Redestück. Das keine Antworten und Lösungen bietet, sondern viele Fragen aufwirft und bewusst offen lässt. So die, was einen Polen mit Namen Szmidt von einen deutschen Schmidt unterscheidet. (...)

Es gibt kompliziert verzahnte Dialoge über Urteile und Vorurteile, über Wahrheiten und Erinnerungen, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede, über das Zusammenleben von Deutschen und Polen und ihre Konfrontation. Kazimierz, der in den Tagen des Bromberger Blutsonntags selbst zwei Menschen getötet hat, darunter einen Jungen, weiß nicht, warum. Und Elsa weigert sich, das junge Mädchen gewesen zu sein, an das Kazimierz sich erinnert. So endet die schöne Aufführung angemessen offen und fragend mit einem Film, in dem die Darstellerin von Elsa immer wieder Bromberg sagt und der Darsteller des Kazimierz stets aufs Neue mit Bydgoszcz kontert: Die jeweiligen scheinbaren Wahrheiten müssen eben immer wieder befragt werden.


ganze Kritik finden Sie unter: www.dradio.de


taz, 06.11.12

Reden über den Massaker in Bromberg

Benno Schirrmeister

(...) Im Landkreis Friesland wurden viele der aus ihrer Heimatstadt Bromberg Geflohenen nach 1945 angesiedelt. Und 2009 gab es in Wilhelmshaven tatsächlich ein organisiertes bilaterales Überlebenden-Treffen: Dessen mitunter hilflos rührende Sühnezeichen-Rhetorik aufgreifend, haben die AutorInnen Artur Palyga und Katharina Gericke mit AkteurInnen des Teatr Polski Bydgoszcz und aus Wilhelmshaven ein mehrsträngiges Bühnengeschehen entwickelt, das kein Sprechstück ist - die kunstvoll verschränkten parallelen Reisen eines polnischen Vaters mit seinem Sohn und einer deutschen Brombergerin zur Versöhnungskonferenz bilden die äußere Handlung -, aber doch eines, in dem das Sprechen, die Sprachen und ihre gegenseitige Fremdheit plastisch auftreten und als eigenständige, als Hauptfiguren agieren: klassisches Aneinander-vorbei-Sprechen, klar doch, aber eben auch die klangliche Differenz bei inhaltlicher Identität oder scheinbar zufällige Kommentare des fremdsprachlichen Inhalts, Scham und Wut und enttäuschende Verwechslung. Zur zentralen Figur wird dabei die Dolmetscherin Dora, die, atemberaubend souverän von Kathrin Ost gespielt, an den metaphysischen Trost der Übersetzung glaubt, der tragisch - und beglückend - scheitert.


ganze Kritik finden Sie unter: www.taz.de




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